1. Miezemaeusli

    Miezemaeusli Teilnehmer/in

    Mittlerweile ist zwar schon wieder drei Monate her - unglaublich wie die Zeit verrinnt - irgendwie mag ich aber trotzdem mein Geburtserlebnis teilen, auch wenn es nicht mehr ganz aktuell ist.

    Komisch, meine dritte (eigentlich vierte, die erste Schwangerschaft dauerte leider nicht lang) Schwangerschaft war irgendwie die sorgenvollste. Warum, weiß ich nicht. Aber irgendwie haben mich diesmal viel mehr Ängste gequält, als bei meinen beiden Töchtern.
    Dann kamen die letzten Wochen vor der Geburt und ich spürte, wie ich innerlich ruhiger wurde und sich eine angenehme Heiterkeit in mir ausbreitete - diese Stimmung kannte ich schon aus den beiden Vorschwangerschaften und ich begann, mich auf die Geburt zu freuen.
    Tja, ganz kurz vor dem Termin erhielt meine Mama bei einer Vorsorgeuntersuchung einen Befund, der alles auf den Kopf stellte und meine heile, kleine Welt bröckeln ließ. In meinem Kopf hat sich alles nur noch im Kreis gedreht: Wie kann ich ihr helfen, ich darf ihr meine Angst nicht zeigen, muss stark sein und positiv und und....den Kindern muss ich es auch erklären, ehrlich, aber ohne ihnen Angst zu machen. Wie zum Geier soll ich SO ein Kind bekommen?! Am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen. Ging natürlich nicht, wenn man gebraucht wird, muss alles andere warten, da gibts kein Verkriechen.

    Ich dachte, so wird das sicher nix mit der Geburt, hoffentlich wird es am Ende keine Einleitung.
    Zwei Tage vor dem Termin bekam meine Ma ein sehr gutes, aufbauendes Ergebnis nach der OP, welches ihre Prognose ungemein verbessert, darauf hatten wir alle schon sehr gewartet und gehofft. Nach diesem Anruf konnte ich das erste Mal seit langem wieder frei durchatmen, so erleichtert war ich. Und drei Stunden nachher platzte meine Fruchtblase, als hätte mein Körper nur auf diese Nachricht gewartet!
    Aber geschockt war ich schon! Mit einem Blasensprung hatte ich gar nicht gerechnet. Da bei der letzten Untersuchung der Kopf unseres Babys noch nicht im Becken war, legte ich mich auf den Wohnzimmerboden und rief meinen Mann. Der hat gerade die beiden grossen Mädls in die Badewanne gesteckt, tja, er hat sie gleich wieder raus gescheucht ;) Und dann musste ich erstmal für Ruhe sorgen, da alle drei wie die aufgescheuchten Hühner um mich herum schwirrten - kein Wunder, der Anblick der am Boden liegenden Mama hat sie etwas erschreckt! Also Mädchen beruhigt, Mann angeleitet: "Tasche holen, Opa verständigen, Rettung anrufen!"
    10 Minuten später steht die Rettung vor der Tür, der Opa ist auch schon da, er kümmert sich um die Miezemädls. Die sind vor Freude ganz aufgeregt :"Das Baby kommt, morgen haben wir schon einen kleinen Bruder!" Ich bin beruhigt, dass sie in guten Händen sind. Die erste leichte Wehe rollt durch meinen Körper, das ist gut.
    Im Rettungsauto darf ich selbst das erste Mal nervös werden, plötzlich fühle ich mich sehr verletzlich und klein. Geht es meinem Kleinen gut? Er ist ganz ruhig. Gut, dass mein Mann an meiner Seite ist. Er freut sich, dass unser Bub auf dem Weg ist und ist ganz aufgekratzt.
    Im Krankenhaus angekommen steigt Angst in mir hoch. Mir ist kalt von der Nässe, ich zittere und mir kommen die Tränen. Krankenhäuser mag ich nicht. Obwohl ich in einem arbeite.
    Meine Hebamme ist jung und nett, ich bekomme eine warme Decke und eine Wärmflasche. Noch muss ich liegen, die Wehen kommen regelmäßig, aber noch sind es sanfte Wellen, kein Orkan. Dem Baby geht es gut. Mein Mann hält meine Hand. Plötzlich ist meine Angst weg, so schnell wie sie gekommen ist. Was für ein Glück, dass auch schon Wehen spürbar sind. Unser Baby kommt jetzt, das ist klar. Ich bin angespannt und ganz wach. Wie aufregend.
    Nach einiger Zeit darf ich aufstehen, der Kopf ist im Becken, der MuMu drei cm eröffnet, ein guter Fortschritt also. Und dann beginnt das lange Spazieren, Runde um Runde. Die aufrechte Haltung verstärkt die Wehen, gut so! Noch ist es gut zu schaffen, immer wieder lehne ich mich an eine Wand und veratme, seufze. Ausser unserem Kreiszimmer ist nur ein weiteres belegt, auf dem Gang ist es unglaublich ruhig.
    Als die Wehen an Kraft zulegen, schimpfe ich sie mir vom Leib. "Kinderkriegen ist gemein. Warum mache ich das jetzt schon wieder?! Achja, ich wollte noch ein Kind......nur die Wehen, die würd ich gern auslassen." Mein Mann grinst unverschämt. "Jaja, das sagst du jedes Mal. In zwei Tagen hast du es wieder vergessen, wetten?" Blödmann ;)
    Pfuh, schön langsam wird es heftiger, MuMu geht eher langsam auf, keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen ist, aber 4 cm?! Wie soll ich das aushalten bis zum Schluss?!
    Schichtwechsel. Meine neue Hebamme mag ich gern, sie ist älter als die letzte Hebamme und ihre Art liegt mir. Sie hat etwas mütterliches. Ausserdem war sie damals, vor jetzt sieben Jahren im OP dabei, als unsere erste Tochter per KS geholt wurde. Sie war damals so nett zu uns! Sie erinnert sich noch an uns.
    Ich bleibe weiter aufrecht, während sich meine Wehenarbeit in einen wilden Orkan entwickelt. Meine Kraft schwindet jetzt sehr schnell. Meine Beine zittern und der Druck nach unten wird unerträglich. Verzweiflung setzt ein. Wie lange kann das noch so weitergehen?! Ich knie mich auf den Boden. Während der Wehen pruste ich wie ein Pferd, wer hätte gedacht, dass das hilft? In den Pausen umarme ich den Pezziball und jammere, mir tut alles weh. Doch die Intensität nimmt zu, meine Schmerzgrenze haben wir schon lange überschritten.
    Ich werde lauter, jammere nur noch:" Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich bin müde, will schlafen, mir tut alles weh!" Die Hebamme kniet sich vor mich, sie atmet mit mir. Es ist eine kleine Maßnahme, aber zumindest für einige Zeit hilft mir das so ungemein!
    Dann kommt die Angst zurück, ich sorge mich um meine Narbe. Wird sie halten? Sind meine Schmerzen normal? Die Hebamme lässt sich meine Sorgen und Schmerzen ganz genau schildern, sie beruhigt mich, alles klingt normal, keine Sorge. Ganz beruhigt bin ich nicht, aber ich vertraue ihr, sie strahlt so eine Ruhe aus.
    Und plötzlich sind wir an dem Punkt, wo ich NICHT MEHR KANN. Aus, will nicht mehr! Kann ich nicht doch eine PDA haben? Ich, die das doch überhaupt gar nicht wollte, weil mir schon der Gedanke an die fette Nadel die Gesichtsfarbe schwinden läßt. Aber es gibt so einen Punkt, da ist einem offenbar alles egal.
    Meine Hebamme lehnt es nicht ab, meint aber schon, dass sich das eventuell eh gar nicht mehr ausgeht. Wie gern würde ich ihr glauben, aber mein Kopf macht mir einen Strich durch die Rechnung, wir waren gerade erst bei 4 cm, also ist es ja gar nicht möglich, dass ich im Endspurt bin, so denke ich.
    Ich bekomme erstmal eine Rieseninfusion mit Kochsalz, glaube ich, angehängt. Das muss sowieso noch vor der PDA rein. "Wah!!!", denke ich, "Das ist ja ein ganzer Kübel *heul*"
    Es ist noch nicht viel reingetropft, als der Druck nach unten einfach kollossal wird, ich kann mich gar nicht mehr dagegen wehren. Es ist kein Pressen, irgendwas in meinem Körper schiebt ganz von alleine nach unten. Die schiere Kraft, die da in mir tobt hat schon was beeindruckendes.
    Ich soll während der nächsten Wehe untersucht werden. Ich weiß nicht genau, ob dabei der letzte Saum beiseite geschoben wurde, oder was auch immer, aner dabei treffen sich ein unbeschreiblicher Schmerz und ein Schub nach unten mit derartiger Wucht, mir klingeln von einem derart schrillen Schrei die Ohren, sodass es einen Augenblick dauert, bis mir klar wird, dass ICH es bin, die da so brüllt.
    "Unglaublich",sagt mein Kopf, fast ein wenig stolz, "wußte nicht, dass ich so laut schreien kann! Beeindruckend."
     
    Miezemaeusli, 4. November 2014
    , Zuletzt bearbeitet: 4. November 2014
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    #1
  2. Miezemaeusli

    Miezemaeusli Teilnehmer/in

    So, jetzt will das Kind kommen, sagt die Hebamme. Ich drehe mich halb sitzend auf die Seite, an andere Stellungen ist nicht mehr zu denken, bin zu erledigt. Mein Mann strahlt übers ganze Gesicht, "Jetzt ist es fast geschafft, jetzt kommt er endlich, unser Bub!" So ganz teile ich seine Euphorie nicht, das dicke Ende kommt ja noch.
    Es ist unglaublich, gerade eben hab ich mich noch vor Schmerz gewunden, hab geglaubt, das überleben wir nicht und nun?! Kein Schmerz mehr, nur noch dieser unbeschreibliche Druck nach unten.
    Die erste Schiebe-Wehe rollt heran und von jetzt an gibt es eigentlich keine spürbaren Wehen mehr, nur noch kontinuierlichen Schub nach unten. Daher schiebe ich nur noch nach Gefühl. Immer nur ein kleines Stückchen, soweit bis ich spüre, dass mein Körper eine Pause braucht, zum Dehnen und zum Rasten. Laut meinem Mann dauerte es etwa 20 Minuten und dann war der Kopf geboren. Den Rest haben dann eigentlich die Hebamme und die Schüler in vollbracht. Ich glaube, sie wollten die Geburt flott beenden, da unser Bub die Nabelschnur um den Hals hatte und da noch nicht ersichtlich war, wie fest.
    War etwas ungemütlich, ich achte schon, da kommt jetzt auch die ganze Gebärmutter mit. War dann gsd nicht so, alles noch an Ort und Stelle. Und da war er!!! Unser lieber kleiner Mann! Für dieses Gefühl der Erleichterung gibts keine Worte. Lachen, Heulen, alles gleichzeitig! Was für eine Freude!
    Die Nabelschnur war nur locker, also auch hier alles bestens.
    Und schon hatte ich ihn im Arm, beim Klang unserer Stimmen hat sich unser kleiner Kreischi auch gleich beruhigt und uns zunächst mit einem Auge begutachtet, das zweite wollte noch nicht so recht aufgehen ;)
    Nach einiger Zeit wagte ich zu fragen, ob es denn meinerseits irgendwelche Geburtsverletzungen gab und - Hurra - die gab es nicht! So viel Glück auf einmal, ein entzückendes Kind, eine verletzungsfreie Geburt!
    Wir haben noch gekuschelt, danach kam ich in ein Dreibettzimmer, mein Mann ist zum Schlafen kurz heim gefahren ( es war mitten in der Nacht) Mein Papa hat ihn im Kreissaal abgeholt und bei der Gelegenheit gleich sein neuestes Enkerl begrüßt. Er war ganz gerührt und hatte nasse Augen :love:
    Ich hab nix mehr geschlafen, ich musste dauernd meinen kleinen Schatz anschauen. Gegen Mittag hat uns mein Mann zusammen mit unseren grossen Mäusen abgeholt. Die machten vielleicht Augen, so süß und winzig fanden sie ihren Bruder! Und ich? Ich hatte danach wochenlang ein unabwischbares, seliges Dauerlächeln im Gesicht. Egal, was die Zukunft bringt. Dieses Erlebnis hat mir soviel Kraft gegeben, ich blicke positiv nach vorne.

    So war das, hoffe, jemand von euch hat bis hierher durchgehalten. Ich war immer etwas traurig, dass ich nicht zuhause, oder in einem Geburtshaus entbinden kann, aber ich muss sagen, diese Geburt hat mich versöhnt. Ich bin meiner Hebamme und der Schülerin so dankbar für die liebevolle, kompetente Begleitung, so hatte ich mir das erhofft. Hier ist alles gut gelaufen und ich bin dankbar dafür, ich hatte grosses Glück. Ich hoffe, niemand hat meinetwegen einen Gehörschaden bekommen (mein Mann sagt ja, ich hätte auch ziemlich geflucht, aber das stimmt sicher nicht,), und dass ich der Schülerin, auf deren Rücken ich mein Bein legen durfte zwischen den Schiebephasen, nicht weh getan habe.
    Es war eine gute Geburt und dass ich jetzt tatsächlich dreifache Mama bin, so wie ich es mir so sehr gewünscht habe, ja das ist schon eine besondere Freude. Und da ist es wieder, das unabwischbare Dauerlächeln.......
     
  3. ge-mini

    ge-mini Teilnehmer/in

    Herzliche Gratulation zu Eurem Buben!
    Wunderschöner Bericht!
    Alles Gute auch für Deine Mama!

    LG ge-mini
     
  4. jeanie

    jeanie Teilnehmer/in

    Herzlichen Glückwunsch - klingt sehr kraftvoll und schön.
    und hier
    " Mein Mann strahlt übers ganze Gesicht, "Jetzt ist es fast geschafft, jetzt kommt er endlich, unser Bub!" So ganz teile ich seine Euphorie nicht, das dicke Ende kommt ja noch."
    musste ich grinsen :D
     
  5. Miezemaeusli

    Miezemaeusli Teilnehmer/in

    Danke euch, es war ein wunderbares Erlebnis und nun ist er schon wieder drei Monate alt und die erste turbulente Zeit geschafft.

    Und ansonsten schauen wir positiv in die Zukunft, das ist immer eine gute Voraussetzung. Und ich glaube, auch der Gedanke an ihre Enkelkinder und die Familie im Allgemeinen gibt meiner Mutter einiges an Kraft. Die kleinen Leute verbreiten einfach so viel Freude....
    Gsd ist ihre Prognose trotz allem eine recht gute, Glück im Unglück also.

    @jeanie: :D, ja teilweise haben wir eine recht unterschiedliche Wahrnehmung. Er erzählt auch jedem, wie locker flockig alles ging und wie super einfach......ähm ja, waren wir überhaupt im selben Raum?!
    Nein, Scherz, es ist wirklich alles sehr gut gegangen, nur soooo ganz unanstrengend fand ich es ja nun nicht.
     
  6. Wunderschoener bericht. So solls sein, an das dauerlaecheln erinnere ich mich auch. Meine juengste ist 7 und der gedanke an ihre geburt gibt mir immer noch kraft und wirkt nach.
     

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