1. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Tatsache ist ja, dass wir alle Stärken und Schwächen haben, mehr oder weniger ausgeprägt.

    Bei Menschen, die als "behindert" gelten, liegt der Fokus gern auf den Schwächen, man streicht besonders heraus, was diese Menschen nicht können. Dabei gehen Stärken gern mal vollkommen unter, vor allem dann, wenn die Schwächen stark ausgeprägt oder einfach nur sehr auffällig sind.

    Bei Menschen, die als "normal" gelten, achtet man viel mehr darauf, Stärken zu erkennen und zu fördern.

    Ich denke, dass deshalb Inklusion so wichtig ist: man erweitert das Spektrum dessen, was in unserer Gesellschaft als "normal" gilt.
     
  2. Sassenach

    VIP

    Mineral, ich unterscheide nicht in echte und unechte Autisten aber antworten wie ich es meinte kamen jetzt schon viele. Ich mag den Ausspruch "jeder ist autistisch" nicht, weil nicht jeder Mensch in seinem Leben beeinträchtigt ist. So wie nicht jeder, der sich gern bewegt und nicht gern still sitzt gleich hyperaktiv ist. ;)

    Aber je nach Schwere ist es eben dann eine Behinderung oder eben "nur" belastend. Die Dr. Preissmann ist dazu sehr interessant und schreibt derzeit ein Buch nach dem anderen. :)
     
  3. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Meine Aussage beinhaltet aber doch genau auch diesen Aspekt: je nach Ausmaß des persönlichen Autismus ist man gar nicht oder sehr stark beeinträchtigt. Mein Hauptaugenmerk liegt auf der Tatsache, dass die Ausprägung "Autist" keine 0/1 Funktion ist.

    Genauso wie die wenigsten Menschen 100% homo- oder heterosexuell veranlagt sind, wir alle bewegen und in einem breiten Spektrum.

    Die Sache mit dem Spektrum ist mir persönlich wichtig und dass es normal ist, dass wir alle uns innerhalb eines solchen Spektrums bewegen. Wenn man das anerkennt, kann man andere nur noch schwer ausschließen.
     
  4. Sassenach

    VIP

    Möglich, ich finde aber dass es den Leidensdruck derer die wirklich beeinträchtigt und belastet sind ein bisschen verharmlost und verniedlicht wenn eh "jeder autistisch" ist. Ist sicher nicht so, auch wenn jeder von uns sicher nicht normal ist, was ist normal? Aber eben neurotypisch oder nicht.
     
  5. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Das ist am Ende eine Frage der persönlichen Wahrnehmung. Es liegt mir jedenfalls fern, die Alltagsproblematik einer anderen Person zu verniedlichen oder zu verharmlosen.

    Ich finde es schlimm, wenn zwischen "normal" und "behindert" eine harte, undurchlässige Grenze gezogen wird. Man ist entweder gesund oder behindert, fertig. 0 oder 1 - keine Zwischenstufen. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

    Mein Schwager wurde als Kleinkind in die Schublade "behindert" einsortiert, seine Eltern bekamen den Rat, das Kind in ein Heim zu geben, zu vergessen und ein neues zu machen. Mein Schwiegervater wäre dieser Empfehlung übrigens ohne mit der Wimper zu zucken nachgekommen. Von der Einsortierung als "behindert - kann nichts, wird nichts" hat sich mein Schwager nie lösen können und das obwohl er einen Beruf erlernt hat und seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet. Er wird mit einem im Vergleich zu seinen Kollegen mickrigen Gehalt abgespeist und selbst meine Schwiegermutter findet, dass er doch bitte schön froh sein kann, dass er überhaupt eine feste Anstellung hat, da darf man in Sachen Gehalt nicht unverschämt sein.

    Wenn ich mir meinen Sohn anschaue, erkenne ich einige Wesenszüge meines Schwager, wenn auch abgeschwächter. Und ich erkenne diese Wesenszüge auch bei mir selbst, noch schwächer.
     
  6. Crocodylia

    Crocodylia Aktive/r Teilnehmer/in

    Sorry, aber du vergallopierst dich, Minerva.
    Wenn jemand "gar nicht" beeinträchtigt ist, ist er kein Autist.
    Das jetzt noch mit der sexuellen Veranlagung zu mixen ist mir zu wild.
    Und es bewegen sich eben nicht alle innerhalb des autistischen Spektrums, wie kommst du darauf?
     
  7. ThePinky

    ThePinky Gast

    Genau: wenn eh "jeder ein bisserl autistisch" wäre, wie rechtfertigt man dann die, von vielen Autisten bzw. ihren Eltern geforderte zusätzliche Unterstützung. Entweder es gibt da Probleme, die andere Leute nicht haben und das rechtfertigt diese zusätzliche Unterstützung, oder "wir sind eh alle ein bisserl anders" - dann muss halt auch jeder mit seinem bisserl anders sein selber zurechtkommen und kann keine "Extrawürste" erwarten. Dann kann man nicht mit: "XY ist für mein Kind viel schwieriger als für andere Kinder, deshalb sollte z.B. sein Referat anders gewertet werden" argumentieren, denn dann gibt es "die anderen" nicht, sondern nur lauter Individuen, denen Referate aus unterschiedlichen Gründen leicht oder schwer fallen.
     
  8. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Es fällt mir grad schwer zu verstehen, wo genau euer Problem mit meiner Aussage ist. Weder rede ich ein Problem klein, noch will ich irgendjemandem die notwendige Förderung absprechen. Nichts liegt mir ferner.

    Ich brauche aber sicher nicht zum zigsten Mal ausführen, wie genau ich mein Statement gemeint habe. Mir fällt grad nicht ein, wie es es noch anders oder verständlicher formulieren sollte, um nicht permanent missverstanden zu werden. Womöglich sind wir gerade an einer Grenze des schriftlichen Austausches angelangt.
     
  9. mcw

    mcw equal
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    Ich kann durchaus verstehen, worauf du mit dem Posting gezielt hast, aber auch die Antworten, die sich dem nicht anschließen wollen was du schreibst, denn die Position von außen ist eine andere, als wenn man tatsächlich mitten drinnen ist und kämpft. Die Perspektiven, die man da hat, sind leider mitunter erschütternd dürftig, mit einem Kleinkind kann man sich noch darüber freuen, wenn dies oder jenes langsam besser wird, aber in der Jugend und weiter hinaus wird es schon recht eng mit dem, woran man sich weiterhin aufrichten kann.
    Und da geht es um weitaus mehr, als ein wenig Anpassungsschwierigkeiten an die Umwelt, es ist eine fortwährende Konfrontation mit Grenzen, den eigenen, den von anderen und vor allem den Grenzen des unmittelbar Betroffenen. Je enger die gesteckt sind und je weniger Spielraum es gibt, umso zehrender ist die Angelegenheit, nicht im Moment, aber auf viele Jahre und Jahrzehnte und man hat auch von "wir sind alle ein bisserl gaga"-Bekundungen nix.
    Es wäre besser, würde es mehr faktische Möglichkeiten für jene geben, die mehr als nur ein bisserl Adaptionsschwierigkeiten an die Umwelt haben und wäre ihre Zukunft in der Welt wie wir sie haben ein wenig rosiger.

    Ich bemerke immer wieder bei einem Betroffenen aus dem Verwandtenkreis (der inzwischen schon ein junger Erwachsener ist), dass nahezu alles eines extra Engagements bedarf, die Kommunikation, die Bedingungen, die man stellen kann und wo man lieber großzügige Abstriche macht und alleine der Aufwand, den es mitunter braucht, um "durchzudringen" ist enorm. Ich bin nach einigen Stunden ausgelaugt, umso größer ist mein Respekt vor jenen, die sich täglich dieser Herausforderung stellen müssen und die rein gar nichts davon haben, wenn man ihnen zuzwinkernd sagt, letztlich wäre eh niemand normal, also alles halb so wild.
     
  10. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Zum Abschluss, weil es mir wichtig ist: NIEMALS habe ich ausdrücken wollen, dass eh alles nur halb so wild sei. Es geht mir nicht ums Relativieren oder Kleinreden, es geht mir um Verständnis und Inklusion und das beinhaltet selbstverständlich alle Mittel und Möglichkeiten, die dazu notwendig sind.
     
  11. mcw

    mcw equal
    PLUS + VIP

    Ok, verstehe.

    Bezüglich Inklusion und Verständnis hat sich in den Schulen schon recht viel getan, was allerdings weiterhin verheerend ist, dass die Betroffenen ab 20 aufwärts mehr oder weniger alleine gelassen werden, aber dann auch noch Unterstützung, Verständnis und Inklusion benötigen würden, weil sie dann nicht magischerweise geheilt sind, sondern nur erwachsen.
    Allerdings leben sie dann noch einige Jahrzehnte, aber gesellschaftlich ist es dann so, als gäbe es sie plötzlich nicht mehr.
     
  12. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Ich erlebe, dass der Schwerpunkt bei der Beurteilung auf die Defizite der Menschen gelegt wird und je offensichtlicher das Defizit ist, desto mehr.

    Mein Schwager hat Tics, ja, aber die hat er nicht, wenn er sich darauf konzentriert, irgendwelchen elektronischen Fuzzelkram zu löten. Diese Tatsache kann man sich kaum vorstellen, wenn man ihn nur in einem Vorstellungsgespräch erleben würde, in dem er vor lauter Nervosität die Zähne nicht voneinander bekäme und mit den Händen wild herumzuckt.

    Dass in seinem Ausbildungszeugnis recht genau geschildert ist, was er kann und dass er in seinem Job richtig gut ist, nutzt ihm da kaum was und das wäre ein Punkt, an dem man ansetzen kann. Anonymisierte Bewerbungsverfahren fallen mir da zum Beispiel ein.

    Wenn immer mehr Kinder in Schulen mit allen möglichen Ausprägungen irgendwelcher Defizite vertreten sind, dann wird vielleicht endlich eine Gesellschaft aufwachsen, die mit wenige Berührungsängsten ausgestattet ist. Wir haben hier in Deutschland eine wirklich unrühmliche Tradition darin, Kinder mit besonderen Anforderungen frühzeitig auszusortieren und in Sonderschulen unterzubringen. Das ändert sich nur zäh, weil es Geld kostet. Wie viel Geld eine grundlegende Änderung dieses Zustandes auf lange Sicht sparen würde, wenn die Gesellschaft von Anfang an in eine umfassende Bildung für alle investieren würde... *abwink*
     
  13. sabineh

    sabineh hält den Mund nicht

    Ich habe es - ähnlich wie andere hier in meinem Beitrag - anders gemeint. Bei meinem Sohn z. B. habe ich das Problem, dass er als Asperger-Autist gemeinhin als "wenig betroffen" eingestuft wird. Noch dazu will er nicht negativ auffallen und legt sich dermaßen ins Zeug, normal zu wirken, dass er niemals von jemandem, der nicht eingeweiht ist, als Autist erkannt werden würde. Dass das aber unheimlich anstrengend ist und dazu führt, dass er sich z. B. in der Schule zusätzlich zu bestimmten Problemen mit dem Inhalt des Unterrichts auch noch viel weniger konzentrieren kann als seine neurotypischen Kollegen, weil dieses ständige Beherrschtsein unheimlich viel Energie "abzieht", wird dadurch aber übersehen. Seine Unauffälligkeit im Alltag außerhalb des Zuhauses führt dazu, dass manche sogar denken, er brauche überhaupt keine Unterstützung. (Jedenfalls wird einem Schulkollegen von ihm wesentlich mehr Unterstützungsbedarf zuerkannt, weil dieser extrem verhaltensauffällig ist.)

    Zusätzlich möchte ich denen recht geben, die sagen, dass Autisten mit zunehmendem Alter notwendige Unterstützung aberkannt wird. Es ist nun einmal so, dass aus einem autistischen Kind ein autistischer Jugendlicher wird und aus diesem wiederum ein autistischer Erwachsener. Man kann nicht einfach verlangen, dass Autisten mit zunehmendem Alter weniger autistisch werden und ihr Unterstützungsbedarf sich einfach verringert. Niemand würde bei einem Rollstuhlfahrer auf die Idee kommen, dass er zunehmend zu Fuß gehen soll, nur weil er älter wird.
     
  14. Dinimama

    VIP

    das beobachte ich bei meinem sohn auch gerade recht deutlich.
    er ist in der schule kaum verhaltensauffällig, ihm liegt viel daran möglichst so zu sein wie alle anderen, irgendwelche unterstützungen und sonderbehandlungen wegen des aspergers sind ihm total zuwider.

    gleichzeitig ist es aber sehr anstrengend für ihn, was sich in ziemlichen konzentrationsproblemen niederschlägt, und das merkt man wiederum an seinen schulischen leistungen.

    jemand, der nichts von seiner diagnose weiß, hält ihn einfach für ein verträumtes, unorganisiertes kind, das sich halt besser zusammenreißen muss.

    @älterwerden:
    bei uns steht schön langsam die entscheidung an wie es nach der unterstufe weitergehen soll, und ich finde das verdammt schwierig. interessens- und intelligenzmäßig würde ihm etwas technisches liegen, ich weiß aber nicht, ob er zb den anforderungen einer htl gewachsen ist.
     
  15. DaisyD

    VIP

    Aber wenn man minervas Argumentation folgt, dann ist das verträumte Kind auch in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, wie ein autistisches es eben auch ist. Es kann sich vielleicht genauso gut, oder eben nicht gut zusammenreißen wie Kinder mit Diagnose.

    Meine Tochter hat z.b. eine bestimmte Form der Rechtschreibschwäche. Ausgetestet, sie ist aber nicht legasthen, sodass es keine Nachsicht bzgl ihrer Rechtschreibung gab.....obwohl sie ja auch nichts “dafür konnte“ und somit nicht mutwillig nicht merkte, wie man richtig schreibt.....insofern stellt sich die Frage.....wann beginnen denn die schwächen/fehler/behinderungen wirklich “zu zählen“?
     
  16. shamane

    shamane frosch-mami
    VIP

    dann wann sich die anderen von dem ver- und unerzogenenem g'schropp gestört fühlen und man als elternteil bitte so rücksichtsvoll sein soll andere damit nicht zu belästigen?

    verzeih meinen sarkasmus, aber der musste jetzt mal raus. :eek:

    die grenzziehung bei autismus/adhs/depression/etc. ist eine schwierige. es handelt sich bei psychischen problemen nun mal um beobachtungsdiagnosen. erschwerend kommt hinzu, dass auch das umfeld mit seinen reaktionen einen einfluss darauf hat, in welche richtung sich manche tendenzen entwickeln.

    je nachdem wie mensch aspekte beurteilt, kommt halt unterschiedliches raus. das "verträumte" kind hat vielleicht doch autismus, aber das umfeld kein problem mit der verträumtheit. das hyperaktive kind ist vielleicht nur lebhaft, aber das umfeld hat ein problem mit dem bewegungsdrang.
     
  17. shamane

    shamane frosch-mami
    VIP

    rituale, regeln, wiederholungen tun allen menschen gut. alle menschen mögen die sicherheit die hervorgerufen wird, wenn vorhersehbar ist, was als nächstes passiert.

    man kann in ritualen, regeln, wiederholungen jedoch auch ersticken und damit eine weiterentwicklung verhindern. das passiert bei autismus.

    von dem her: nein, wir sind nicht alle mehr oder weniger autist. zwischen neurotypisch und autistisch gibt es jedoch eine schnittmenge.
     
  18. ThePinky

    ThePinky Gast

    DAS ist jetzt aber wirklich Quatsch. Wo in der Schule bitte gibt es schon Angebote die "normale" Kinder in ihren Stärken bestärken? Bei uns gibts zwar Förderunterricht, stundenwiese Zweitlehrer für I Kinder, Sprachheilkurs, Legasthenietraining... aber echt kaum was für durchschnittliche bis überdurchschnittliche Schüler. Die kommen ja eh mit, die brauchen ja keine Förderung....:rolleyes: (begabungsförderung an unserer Schule: Ausmaß 3 Stunden Workshop pro Schuljahr)
     
  19. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    Um diesen Aspekt ging es in meiner Aussage nicht, in der Sache selbst gebe ich dir vollkommen recht.
     
  20. Minerva

    Minerva Head of Frustblunzn
    VIP

    In dieser Definition finde ich meinen Denkansatz wieder, danke.

    Den begriff "neurotypisch" kannte ich bisher nicht.
     

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