1. change00

    change00 Gast

    Inspiriert durch ein paar Threads in den vergangenen Wochen (vor der Wahl und nach der Wahl).

    Wir haben derzeit einen relativ gut ausgebauten Sozialstaat, auch wenn immer wieder Bedürftige durchfallen. Für Menschen mit niedrigen Einkommen und Familien mit wenig Einkommen gibt es relativ viele Sozialleistungen, Zuschüsse, gratis Sachleistungen, günstige Wohnungen, etc.

    Unser Steuerrecht fördert Teilzeitarbeit sehr stark, indem 11.000 Euro pro Jahr von der Steuer befreit sind, besteuert dafür aber - weil es sich sonst budgetmäßig nicht ausgehen würde - die Einkommen ab der Steuergrenze sehr hoch. Wir haben einen Grenzsteuersatz von 36,5% und einen Grenzabgabensatz von 48% (Steuer + SV).

    Finanziert wird das alles großteils von der arbeitenden Bevölkerung und da vor allem von jenen, die Vollzeit arbeiten.

    Findet ihr es ok, gerecht, sinnvoll, etc, wenn jene, die freiwillig auf mehr Arbeit zugunsten einer besseren Work-Life balance verzichten oder weil sie lieber mehr Zeit mit den Kindern verbringen oder aus welchen Gründen auch immer, staatlich unterstützt werden, weil ihr Einkommen geringer ist? Wenn jemand also sein niedrigeres Einkommen freiwillig selbst gewählt hat, ist es ok, dass jene, die mehr arbeiten und dadurch weniger work life balance haben, dem oder dessen Familie das EInkommen auftoppen, damit auch die einen halbwegs guten Lebensstandard haben?

    Ist es ok, dass wir eine enorm hohe Steuerfreigrenze haben, die von denen, die darüber verdienen, mit international einzigartig hohen Abgabensätzen finanziert werden muss, wenn damit im wesentlichen Teilzeitgehälter gefördert werden, von denen ca. 70% freiwillig Teilzeit arbeiten?

    Ich weiß schon, man kann nicht so leicht herausfiltern, wer freiwillig auf mehr Verdienst verzichtet und wer nicht und manche verdienen auch Vollzeit so wenig, dass es nicht reicht, aber wenn man das mal ausblendet und für eine theoretisch abstrakte Diskussion nur jene heranzieht, die freiwillig weniger arbeiten - wie würdet ihr das sehen? Wie weit soll der Sozialstaat gehen? Soll er auch jene fördern und alimentieren, die freiwillig auf ein höheres Einkommen verzichten?
     
    change00, 20. Oktober 2013
    , Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 20. Oktober 2013
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    #1
  2. Obsidian

    Obsidian Pazifist a.D.
    VIP

    Hui, du fragst extrem tendenziell ;)

    Ich finde zum Beispiel nicht, dass durch das Steuersystem TZ gestützt wird. Es wird lukrativer, aber m.E. nicht querfinanziert.

    Dass ich generell ein Befürworter einer Stufenflattax bin, ist wohl inzwischen bekannt. Ich bin für 2 Stufen von Null bis 100000 und einer 2. Flattax über 100000.
    Ich bin jedoch auch davon überzeugt, dass das Null Auswirkungen auf den TZ-Anteil hat.

    Ich möchte mich mehr auf deine Überschriftsfrage konzentrieren und etwas spezifizieren auf: "Wo soll der Sozialstaat eingreifen"
    Ich denke, dass der staatliche Eingriff inzwischen viel zu gross geworden ist. Durch diverse Zuschüsse und Unterstützungen kaufen sich die Parteien regelrecht ihre Stimmen, während die, die es finanzieren, weil inzwischen die Minderheit, kaum mehr politisches Gewicht bzw Vertretung haben.
    Ich sehe die Aufgabe des Sozialstaates in Hilfe zur Selbsthilfe und zur Schaffung eines Notfallnetzes wie der Mindestsicherung. Allerdings sehe ich es nciht als Aufgabe des Sozialstaates überall dort einzuspringen, wo die Leute zu blöd zum Rechnen bei den Familienfinanzen und zu blöd zum Verhüten waren.
     
  3. famous5

    famous5 Teilnehmer/in

    Im Großen und Ganzen finde ich Ö total super. :)

    Finde es auch gut, dass es Mindestsicherung gibt. Kenne einige Leute, die sehr gebildet und höflich sind (damit meine ich keine Klischee hartz4-Leute), und die auch schon mal da reingerutscht sind. Finde ich echt gut, dass keiner betteln gehen muss, sondern eine Zeit lang einfach über Wasser gehalten wird.
    Und über die Mitversicherung der Kinder bin ich echt froh - hätte keinen Spaß, müsste ich die Arztrechnungen selbst zahlen.

    Mein persönliches Wünsch-dir-was:
    Ich finde es schade, dass man mit vielen Kindern nicht weniger Steuern zahlt. z.B. fürs erste bescheidene Haus keine Grundsteuer :D, oder weniger Einkommenssteuer, wenn man mit dem Einkommen mehr Kinder durchfüttern muss. Gratiskindergarten wie in Wien hätte ich auch gern. :D
     
  4. hejoka

    VIP

    Ich sehe es eher als eine Querfinanzierung von bezahlter zur unbezahlter Arbeit. Die meisten Teilzeitkräfte arbeiten ja weniger, weil sie unbezahlte Arbeit leisten zB Kinderbetreuung, Betreuung von pflegedürftigen Menschen.

    Für den Staat "rechnet" es sich wahrscheinlich auch, weil dadurch mehr Menschen eine Beschäftigung haben und deshalb nicht auf die Mindestsicherung oder Arbeitslose angewiesen sind.

    Gruss
    Manuela
     
  5. Blaufrosch

    Blaufrosch Teilnehmer/in

    "Mehr Zeit mit den Kindern verbringen" sehe ich aber nicht als freiwillig gewählte Gemütlichkeit, sondern als wertvoll und notwendig im allgemeinen Interesse. Eine steuerliche Minder- oder Nichtbelastung ist daher mMn völlig gerechtfertigt.
    Von mir aus könnte man, wenn keine Kinder z.B.unter 16 oder Pflegebedürftige zu betreuen sind, über eine Steuer auf Teilzeiteinkommen unter 11000 nachdenken - aber zu einem geringeren Satz als dem jetzigen Eingangssteuersatz.
    Vollzeiteinkommen unter 11000 sollten aber unbesteuert bleiben.
     
  6. Hexi68

    Hexi68 3-fach Bubenmama

    Ich denke das ist nicht so einfach zu beantworten, weil die gründe warum man sich für teilzeit entscheidet so unterschiedlich sind.
    Jemand der kinder bis zu einem bestimmten alter (ich sag mal aus eigener erfahrung heraus bis ca. 10 Jahre) zu versorgen hat, oder nachweislich jemanden pflegt, für denjenigen finde ich es in ordnung.
    Da würde ich diese vergünstigung auf einen elternteil/pflegenden einschränken.
    Geht´s aber nur um einen bequemeren alltag für mich selbst, sehe ich nicht ein, warum die allgemeinheit mit steuerlichen begünstigungen hilfreich sein sollte.
     
  7. brawling

    brawling Teilnehmer/in

    Bildung + Gesundheit gehören gratis, also so wies ist (natürlich brauchts ein paar Verbesserungen).

    Das Steuersystem des BZÖs (? bin mir nicht mehr ganz sicher, ob das von denen war/ist) hat mir gut gefallen. Es gibt einen einheitlichen Steuersatz und eine einheitliche Freigrenze. D.h. wenn du 40000 € verdienst im Jahr, sind davon 10000 € steuerfrei und musst nur für die 30000 € Steuern zahlen, wenn du 11000 € verdienst, dann musst du 1000 € versteuern. (Steuersatz und Steuerfreibetrag muss man halt einen guten finden, keine Ahnung, welche Höhe die wollten und was tatsächlich angemessen wäre).
    So kommt die Bevorzugung von niedrigen Gehältern weg.

    Interessant fänd ich eine reine Finanzierung über Massensteuern, da würde jeder zum Zug kommen - egal ob das Geld erarbeitet, vererbt hat oder reine Zinserträge sind.

    Ich kenn mich aber nicht so gut aus, da kann man leicht reden :D
     
  8. Ich finde gesunden, erwerbsfähigen Leuten wird es zu leicht gemacht Sozialleistungen zu erhalten. Mal ein paar Monate gemütlich zu Hause zu verbringen bevor mal man wieder nach einem Job schaut ist nicht schwer (kenne persönlich ein paar Fälle wo das so läuft).

    Auch finde ich es nicht richtig, das praktische eine ganze Branche (Bauwirtschaft zB.) ihre Arbeiter jeden Winter ein paar Monate in die Arbeitslose schickt.

    Weiters ist der Anreiz für alleinerziehende Elternteile, die von Mindestsicherung leben, wieder arbeiten zu gehen viel zu gering. Kenne selbst so einen Fall. Frau alleine mit Kind, lebt von Mindestsicherung. Sie erhält 1208,-- Unterstützung + halbe Hundesteuer, Wohnbeihilfe, Rezeptgebührenbefreiung, GIS-Gebühren Befreiung, VHS Kurse um 1,-- pro Stunde, Jahreskarte Öffis um die Hälfte, Einkaufsmöglichkeit im Sozialmarkt.
    Wird sie jemals wieder arbeiten gehen wird es ihr finanziell schlechter gehen. Wo ist da der Anreiz nicht bis zum Ende des Lebens auf Mindestsicherung zu bleiben?

    Ich kenn auch eine Mutter, deren Kind ist mittlerweile 8 Jahre alt, sie denkt nicht ans Arbeiten gehen, weil sie würde sofort weniger Einkünfte haben.

    Da muss dringend angesetzt werden.

    Auf der anderen Seite finde ich es eine Schande, dass Menschen, die ein behindertes oder schwer krankes Kind bekommen oder selbst so ein Schicksal erleiden um Unterstützung betteln müssen. Im September fand erst eine Charity-Fussballmatch für einen 20-jährigen Fussballspieler statt, der aufgrund eines Gehirntumors im Rollstuhl sitzt.

    Würde man weniger für die erste Gruppe ausgeben müssen wäre mehr als genug Geld für die zweite Gruppe da.
    Die erste Gruppe kann arbeiten und etwas positives beitragen, also sollten sie das auch tun.

    Aber so lange die Gesetze so sind, wären die Leute ja blöd die Sozialleistungen nicht in Anspruch zu nehmen.
     
  9. Obsidian

    Obsidian Pazifist a.D.
    VIP

    dafür wäre ich auch. Grundnahrungsmittel und Mieten auf wenige % MWST (dann kämen die Ärmsten dadurch nicht unter die Räder) und den Rest dafür rauf auf z.B. 35%, dafür keine Einkommenssteuern und mit einem Schlag hat sich auch das Thema Schwarzarbeit erledigt.
     
  10. mcw

    mcw equal
    PLUS + VIP

    Es ist ja schon jetzt zu wenig Arbeit für alle Arbeitsplatzsuchende da, darum geht sich die Milchmädchenrechnung leider nicht aus.
     
  11. Eule

    Eule Teilnehmer/in

    @mcw: Wahrscheinlich hat sie noch 460,- Alimente dazugerechnet.
     
  12. mcw

    mcw equal
    PLUS + VIP

    Unser Sozialstaat ist reformbedürftig: ich wäre für eine Krankenkasse, eine Sozial- und Pensionsversicherung für alle, die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens, dafür die Abschaffung von Grundsicherung/Mindestpensionen/etc., die bekommen das Grundeinkommen und basta. Ausnahme gilt natürlich für Pflegebedürftige.
    Ansonsten sollte in der Medizin endlich das Hauptaugenmerk auf Prophylaxe gelegt werden, weg vom kranken System der bezahlten Massagen und hin zum Bonussystem für Leute, die z.B.bei Rückenbeschwerden in den Yogakurs oder zum medizinischen Krafttraining gehen, entweder erhalten sie einen Teil davon per Nachweis nach einem Jahr retour oder müssen einmal weniger Sozialversicherungsbeitrag pro Jahr zahlen, irgendeinen guten Anreiz könnte man sich da schon einfallen lassen.
    Dasselbe gilt für Leute die zur Gesundheitsuntersuchung gehen und für Reduktion von Blutzucker/Bluthochdruck ihren Lebensstil ändern, anstatt Tabletten zu schucken, usw. Mit einem Vorsorgesystem könnte man gigantische Summen sparen, die derzeit in einen unnötigen Abfluß verschwinden, der für Massagen und ähnlich zweckloses Zeug ausgegeben wird.

    Und zum Schluß wird der Neid per Gesetz abgeschafft, wer in mehreren belegbaren Aussagen bekundet, Leuten ihr Leben als Sozialfall zu neiden, wird per Erlaß dazu verdammt seine Arbeit aufzugeben und kann dann endlich jenes Leben führen, dass er anderen offensichtlich so neidet. :cool:
     
  13. gartenzwerg

    gartenzwerg linke emanze

    mein mann hat auf einen mehrverdienst von 1200€ verzichtet um bei gleich vielen arbeitsstunden in einem sozialen bereich weiterzumachen.

    wäre er geblieben wäre sein einkommen weit mehr gestiegen als es im jetzigen job der fall ist, allerdings kommt es nicht nur auf die kohle an die am ende des monats rausspringt, sondern auch darauf ob man die arbeit mit seinem gewissen vereinbaren kann und will.
     
  14. fst

    fst Gast

    :) Ist mir ein Bisschen zu radikal, denke der nachdruckliche Angebot reicht. Aber schliesslich kommt es ja genau darauf an. Was will ich wirklich?
     
  15. Eule

    Eule Teilnehmer/in

    Kommt darauf an wie hoch die Ausgangsbasis ist. Wenn jemand 2.000,- verdient, wird er nicht auf 1.200,- freiwillig verzichten können... ;)
     
  16. fst

    fst Gast

    Aber nachdem gsd generell nicht 40 Stunden (falls er nur TZ war ist die Ausgangsbasis eh total anders, denn viele TZ Leute verdienen nur ganz wenig aber leben nicht nur davon) für €800/M gearbeitet werden, gehe ich davon aus, dass dies nicht die genaue Zahlen in Gartenzwergs Beispiel waren.
    Und statt €3200 nur €2000 verdienen ist durchaus im Rahmen der Möglichkeiten, also falls Du es so rum meintest.
     
  17. Mum02

    VIP

    Ist es wirklich problemlos möglich, "bis zum Ende des Lebens auf Mindestsicherung zu bleiben"? Würd mich wundern.

    Lg mum02
     
  18. gartenzwerg

    gartenzwerg linke emanze

    war und ist vollzeit.
    die 1200€ waren der monatliche verlust netto. bruttogehalt war viel höher als das jetzige. netto sind es jetzt knapp über 1500€

    wobei er, hätte er damals schon gewusst dass ich in absehbarer zeit arbeitsunfähig bin, wahrscheinlich nicht gewechselt hätte
     
  19. -Fleur-

    -Fleur- a Mensch möcht i bleibn

    Über Freiwilligkeit oder nicht, kann man nur diskutieren wenn genügend Vollzeit-Stellen vorhanden sind:

    Demnach wurden in diesen Jahren annähernd so viele Vollzeitarbeitsplätze abgebaut wie Teilzeitarbeitsplätze geschaffen. So kam es dazu, dass es 2012 um 14.400 weniger Unselbstständige mit Vollzeitjobs gab als noch 2008, jedoch um 113.700 mehr mit Teilzeitjobs.

    http://derstandard.at/1363705601403/Krise-frass-Vollzeitjobs-brachte-Teilzeitarbeit

    -Fleur-
     
  20. MatsBM

    MatsBM Gast

    Ich sehe es ähnlich wie Obsidian und der Sozialstaat geht mir zum Teil schon zu weit.
    Wir fördern zum Teil sehr stark nicht erwerbstätig zu sein und der Anreiz wieder ins Erwerbsleben zu treten ist eher gering wenn man mit staatlichen Unterstützungen auch gut leben kann.

    Was das Steuersystem betrifft bin ich der Meinung daß eine Flattax ohne einen steuerfreien Grundbetrag die sinnvollere Variante wäre im Gegensatz zum derzeit progressiven Steuersystem.
    Somit wären alle Einkommen gleich besteuert und wenn man Familien mit Kindern unterstützen möchte, kann dies ja z.B. mit einem Familienfreibetrag oder wie auch immer geschehen.
    Aber es wäre dann steuerlich egal ob es z.B. 2 gleich große Teilzeiteinkommen gibt oder 1 Hauptverdiener und z.B. 1 geringfügiges Einkommen.


    Dieses System haben wir doch ohnehin schon und Einkommen bis 11.000 Euro im Kalenderjahr sind steuerfrei, erst darüber beginnt die Besteuerung mit 36,5%.
    Genau diese Steuergrenze ist aber sehrwohl eine Bevorzugung von niedrigeren Einkommen, da diese ja gar keine Steuer bezahlen während die Steuerbelastung mit steigendem Einkommen auch prozentuell immer höher wird.

    Familien mit mehr Kindern erhalten aber bereits jetzt schon höhere Unterstützungen einerseits mit dem Mehrkindzuschlag und andererseits mit der Geschwisterstaffelung bei der Familienbeihilfe.
    Sozusagen sind Einzelkinder im Gegensatz zu Mehrkindfamilien für den Staat weniger wert.


    Liebe Grüße
    Mats
     

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